Liquor-Proteindifferenzierung (Reiber-Diagramm)

Kategorie Laboruntersuchung
Stand24.07.2020
ErbringerEigenleistung
MethodeNephelometrie
Material
0,3 ml Liquor und 0,5 ml Serum (gleichzeitige Abnahme!)
AnsatztageMo - Sa, täglich
IndikationV. a. entzündliche ZNS-Erkrankungen
Enthaltene Parameter
Albumin in Liquor und Serum, Gesamt-IgG/IgA/IgM in Liquor und Serum
Referenzbereich
siehe Befundbericht
Interpretation
Die Untersuchung erlaubt Aussagen zum Vorliegen einer Schrankenstörung und einer intrathekalen Immunglobulinsynthese.
Kurzinformation
Basisdiagnostik:  Albumin und IgG
Erweiterte Diagnostik: Albumin und IgG und IgA und IgM, gleichzeitig oligoklonales IgG im Liquor ratsam!
Zusatzinformation
Hintergrund
Unter Berücksichtigung der Blut-Liquor-Schrankenfunktion und mit Kenntnis neuroimmunologischer Prozesse ist es möglich, eine aus dem ZNS stammende Proteinfraktion neben der aus dem Blut stammenden Proteinfraktion quantitativ zu bestimmen und adäquat zu interpretieren.
 
Indikation
  • Beurteilung der Blut-Liquor-Schrankenfunktion
  • Nachweis intrathekaler, humoraler Immunreaktionen
  • Nachweis krankheits- oder erregertypischer Immunglobulinmuster
  • Nachweis von Markerproteinen für Tumore oder degenerative Prozesse
 
Blut-Liquor-Schrankenfunktionsstörung
Die pathologische Erhöhung der Serumproteine im Liquor, allgemein als Blut-Liquor-Schrankenfunktionsstörung bezeichnet, ist vor allem durch einen reduzierten Liquorfluss bedingt. Alle Proteine des Blutes passieren entsprechend ihrer molekularen Größe mehr oder weniger schnell vom Blut in den Liquorraum. Die Liquorkonzentration ist daher im Verhältnis zur Serumkonzentration um so kleiner, je größer das Molekül ist. Die Benutzung von Quotienten zur Charakterisierung der Liquorkonzentration von Proteinen hat den Vorteil, dass die individuellen Schwankungen der Blutkonzentration eines Serumproteins durch die Quotientenbildung eliminiert werden.
Da Albumin, welches ausschließlich in der Leber synthetisiert wird, nur aus dem Blut in den Liquor gelangen kann, gilt der Albumin-Liquor/Serum-Quotient Q/Alb als Maß für die Blut-Liquor-Schrankenfunktion. Bei der Auswertung des Albuminquotienten muss der altersabhängige Unterschied der Liquorflussgeschwindigkeit berücksichtigt werden, vor allem in den ersten 4 Lebensmonaten besteht eine starke Altersabhängigkeit, bei Erwachsenen nimmt der Liquorfluss stetig wieder ab und damit steigt der Albuminquotient.
Diagnostische Hinweise:
  • Leichte Schrankenstörung bis 10 x 10^-3 (Erwachsene) bei chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, chronischer HIV-Enzephalitis, alkoholischer Polyneuropathie oder AML.
  • Mittelschwere Schrankenstörungen bis 20 x 10^-3 (Erwachsene) bei viralen Meningitiden, opportunistischen Infektionen oder diabetischer Polyneuropathe.
  • Schwere Schrankenstörung > 20 x 10^-3 (Erwachsene) weisen auf eine akut entzündliche Erkrankung hin wie z. B. GBS, Neuroborreliose, HSV-Enzephalitis.
  • Extrem hohe Werte > 50 x 10^-3 (Erwachsene) findet man bei purulenter oder tuberkulöser Meningitis oder bei einer spinalen Blockade.
 
Intrathekale, humorale Immunreaktion
Immunglobuline stammen beim Gesunden komplett aus dem Blut. Bei entzündlichen ZNS-Reaktionen kann es zusätzlich zu einer intrathekalen Synthese von Immunglobulinen kommen. Um eine intrathekale, humorale Immunreaktion zu identifizieren, muss im Liquor eine aus dem ZNS stammende Immunglobulin-Fraktion neben der aus dem Blut stammenden Fraktion charakterisiert werden. Die sensitivste Methode ist die qualitative Bestimmung von oligoklonalem IgG (siehe dort) Die quantitative Bestimmung der IgG-, IgA- und IgM-Synthese ist jedoch für die Darstellung von Befundmustern und für die weiterführende Diagnostik, wie z. B. den Nachweis einer erregerspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese, unerlässlich.
Reiber et al. haben nachgewiesen, dass der Zusammenhang zwischen Schrankenfunktion und Immunglobulinproduktion einer hyperbolischen Funktion folgt.
Im Quotientendiagramm nach Reiber (Reiber-Schema) repräsentiert die X-Achse (Q_Alb) die Schrankenfunktion und die Y-Achse (Q_IgG, Q_IgA, Q_IgM) zeigt die intrathekale Synthese des jeweiligen Immunglobulins an. Die hyperbolische Funktion lautet: Q_IgX=a/b Wurzel(Q_Alb^2 + b^2) -c. Die obere Diskriminierungslinie für den Referenzbereich im Liquor/Serumquotientendiagramm wird als Q_Lim bezeichnet. Werte oberhalb dieser Diskriminierungslinie zeigen eine intrathekale Immunglobulinsynthese an.
Entsprechend der Eintragung der Werte für Q_Alb und Q_IgG bzw. Q_IgM und Q_IgA können folgende Befundmuster unterschieden werden (siehe Ziffern in der Abbildung):
1: Normalbefund
2: Reine Schrankenstörung ohne intrathekale IgG-Synthese
3: Schrankenstörung und zugleich intrathekale IgG-Synthese
4: Reine intrathekale IgG-Synthese ohne Schrankenstörung
5: Unplausibler Bereich (Fehler bei Entnahme oder Analytik)
 
hier Reiber-Schema-Diagramm einfügen!
 
"Krankheits- oder erregertypische" Immunglobulinmuster
Im Gegensatz zur systemischen Immunreaktion mit einer initialen IgM-Klassenreaktion und dann folgendem Wechsel zur IgG-Klassenreaktion, findet dieser Switch im ZNS nicht statt. Dies ermöglicht es, "krankheitsbezogene" Muster der Immunglobulinklassen zum Zeitpunkt der ersten differentialdiagnostisch relevanten Liquorpunktion als diagnostisches Kriterium zu benutzen. Für die differentialdiagnostische Relevanz der Immunglobulinmuster sind jedoch alle weiteren Liquorparameter zusätzlich von Bedeutung.
  • IgG-Dominanz: Multiple Sklerose, Neurosyphilis, chronische HIV-Enzephalitis
  • IgA-Dominanz: Neurotuberkulose, Hirnabszess, Adrenoleukodystrophie
  • IgM-Dominanz: Neuroborreliose (akut IgM > IgA > IgG), Mumps-Meningoenzephalitis, Non-Hodgkin Lymphom mit ZNS-Beteiligung
  • IgG+IgA+IgM: Opportunistische Infektionen (z. B. CMV, Toxoplasma)
 
Erreger-spezifische Antikörperindizes
Eine quantitative Antikörpersynthese im ZNS  wird mittels des Antikörperindices (AI oder auch ASI erregerspezifischer Antikörperindex) nachgewiesen. Der AI oder ASI beschreibt das Verhältnis der erregerspezifischen Antikörperkonzentration im Liquor zur erregerspezifischen Antikörperkonzentration im Serum dividiert durch die jeweilige Immunglobulinkonzentration (IgG, IgA, IgM) im Liquor zu der entsprechenden Immunglobulinkonzentration im Serum. Dieser Quotient Q/spez. / Q/ges. hat theoretisch den Wert 1 (methodisch bedingter Referenzbereich 0,7-1,5) und gilt bei Einsatz von ELISA-Methoden. Antikörperindizes > 1,5 gelten als pathologisch und sind Ausdruck einer intrathekalen Antikörpersynthese. Die obige Formel gilt nur, wenn nicht gleichzeitig eine intrathekale polyspezifische IgG-Synthese vorliegt. In diesem Fall ist der Limesquotient Q/Lim des entsprechenden Immunglobulins zu verwenden, da sich sonst falsch negative Antikörperindizes ergeben, was zu möglichen Fehldiagnosen führen kann.
Der Nachweis einer erregerspezifischen Antikörpersynthese im ZNS ist für zwei unterschiedliche Formen neurologischer Erkrankungen relevant:
  • Bei akuten Infektionen mit einer monospezifischen Immunreaktion gegen das ursächliche Antigen. Es ist jedoch zu beachten, dass eine Antikörperproduktion im ZNS erst nach 1 - 2 Wochen einsetzt, so dass bei ganz akuten Infektionen, wie z. B. einer HSV-Enzephalitis, initial noch kein erhöhter Antikörperindex vorliegen kann und der Erregernachweis mittels PCR die geeignetere Nachweismethode ist. Positive Antikörperindizes können auch nach Abklingen der Infektion noch unterschiedlich lange persistieren, korrelieren dann aber nicht mit der Aktivität eines infektiösen Geschehens.
  • Bei chronischen Erkrankungen, bei denen virusspezifische Antikörper in einer sekundären, polyspezifischen Immunreaktion gebildet werden. So können im Rahmen chronisch-entzündlicher oder autoimmun-bedingter Prozesse positive Antikörperindizes von Masern, Röteln, VZV und anderen Erregern auftreten. Ein typisches Beispiel dafür ist die sog. MRZ-Reaktion bei MS.
 
Tumormarker
Neben Bildgebung und liquorzytologischen Untersuchungen werden auch lösliche Tumormarker für die Differenzierung maligner ZNS-Prozesse eingesetzt, wobei die Liquorzytologie qualitativ den höchsten Stellenwert besitzt.
  • Bei primären Hirntumoren z. B. NSE, Protein S-100
  • Bei sekundären Hirntumoren (Metastasen) z. B. CEA mit Bezug auf IgA-Quotientendiagramm
  • Bei paraneoplastischen Syndromen (siehe "AK gg Neuronenkerne", "AK gg Ma2/Ta", "AK gg Amphiphysin")
 
Marker degenerativer Erkrankungen
Differentialdiagnostische Fragestellungen sind zu beachten!
Tau-Protein, Phospho-Tau, Beta-Amyloid 1-42, Protein 14-3-3, NSE, Protein S-100 (siehe jeweils dort).
Literatur
1. Zettel, U. K., Lehmitz, R., Mix, E.  Klinische Liquordiagnostik. Berlin: Walter de Gruyter 2005
2. Reiber, H. Liquordiagnostik. In Thomas, L. Labor und Diagnose. Frankfurt/Main: TH-Books Verlagsgesellschaft mbH, 2005
 
Wildemann B, Oschmann P, Reiber H. Neurologische Labordiagnostik. 1. Auflage ed. Thieme Verlag, Stuttgart, 2006. (137)
 
AnhängeDownload.png Ringversuchszertifikat Juli 2023.pdf
Download.png Ringversuchszertifikat Januar 2024.pdf
Download.png Ringversuchszertifikat Juli 2024.pdf
Download.png Ringversuchszertifikat Februar 2025.pdf