Hintergrund
Die Differenzierung des Urinproteinmusters besitzt im Rahmen der Proteinurie-Abklärung eine herausragende Bedeutung. Sie dient der Unterscheidung der verschiedenen renalen Proteinurieformen (glomerulär, tubulär, glomerulär/tubulär) von prärenalen Proteinurien ("Überlaufproteinurie": Hämoglobulinurie, Paraproteinurie, Bence-Jones-Proteinurie, Myoglobulinurie) und postrenalen Proteinurien (postrenale Hämaturie, Entzündung der ableitenden Harnwege). Die molekulargewichtsbezogene Auftrennung und der Nachweis geringster Mengen ausgeschiedener Proteine mittels SDS-PAGE ermöglichte erstmals die qualifizierte Proteinurie-Differenzierung und ersetzte damit die früher gebräuchliche einfache Urinelektrophorese.
Mittels SDS-PAGE lassen sich die verschiedenen Urinproteinmuster qualitativ beurteilen, ohne dass die Höhe der quantitativen Veränderungen genau berücksichtigt wird. Liegt nur eine mäßig ausgeprägte pathologische Proteinurie vor, kann eine korrekte Differenzierung Schwierigkeiten bereiten. Dies gilt auch für die Abgrenzung renaler von postrenalen Proteinurieformen. Für diese Indikationen steht die quantitative Untersuchung der Einzelproteine im Urin mit rechnergestützter Auswertung (siehe unter "Markerproteinprofil im Urin") zur Verfügung.
Bewertung
Nach Boesken sind sechs Typen der renalen Proteinurie unterscheidbar, die zu bestimmten Krankheitsbildern in Beziehung stehen. Da gleiche Proteinmuster bei verschiedenen Erkrankungen vorkommen, kann die Proteinurie-Differenzierung nur im Zusammenhang mit den klinischen Befunden zur Diagnose renaler Erkrankungen beitragen.
Typ I = unselektiv-glomeruläre Proteinurie: z. B. bei benigner Nephrosklerose, gering proliferativer Glomerulonephritis (GN), diabetischer Nephropathie und renaler Beteiligung bei Systemerkrankungen mit Proteinausscheidung 1 - 1,5 g/24 h; bei chronischen GN, fortgeschrittener diabetischer Nephropathie und Amyloidose mit Proteinausscheidung > 3,5 g/24 h.
Typ II = Proteinurie mittlerer glomerulärer Selektivität: z. B. bei geringer oder frisch proliferativer GN mit meist kleiner Proteinurie, bei fokaler glomerulärer Sklerose und membranöser GN mit meist größerer Proteinurie, bei EPH-Gestose.
Typ III = selektive glomeruläre Proteinurie: z. B. bei frühen Formen der fokalen glomerulären Sklerose und der membranösen GN, bei Minimal-Change-Nephritis.
Typ IV = mikromolekular-tubuläre Proteinurie: z. B. bei interstitieller Nephritis durch Analgetika und Aminoglykosid-Antibiotika, durch toxische Schwermetalle (Cadmium, Quecksilber) verursachter Nephropathie, Bence-Jones-Nephropathie, angeborenen Tubulopathien, akutem Nierenversagen.
Typ V = glomerulär-tubuläre Mischproteinurien:
Typ Va mit überwiegend glomerulärem Anteil und größerer Proteinurie, z. B. bei chronischen Glomerulopathien mit fortgeschrittener sekundärer tubulo-interstitieller Schädigung.
Typ Vb mit vorwiegend mikromolekular-tubulärer Proteinurie meist < 2 g/d, z. B. bei chronisch interstitieller Erkrankung mit sekundärer Hochdruckschädigung, Nephrosklerose.
Typ VI = "vaskulärer Typ" mit partieller mikromolekularer Proteinurie und unterschiedlich ausgeprägter glomerulärer Proteinurie mittlerer bis geringer Selektivität, z. B. bei diabetischer Nephropathie, chronisch proliferativen Glomerulonephritiden.
Auch prärenale (monomere Leichtketten) und postrenale Proteinurien (Alpha-2-Makroglobulin, Apolipoprotein A1) sind zu erkennen. Erhöhte Immunglobulin-Ausscheidung kann auf eine lokale Immunglobulin-Sekretion bei Harnwegsinfekten zurückgehen. Bei Blutungen werden Hämoglobin-Monomere gefunden.
Bei der "physiologischen Proteinurie" treten Albumin, Immunglobuline, Tamm-Horsefall-Protein und einzelne mikromolekulare Banden auf. |