Hintergrund
Das Komplementsystem stellt einen wichtigen Bestandteil der angeborenen Immunabwehr dar. Es besteht, ähnlich dem Gerinnungssystem, aus einer Kaskade verschiedener Faktoren (C1 bis C9 etc.) und Regulatoren und interagiert mit weiteren Komponenten des Immunsystems auf unterschiedlichen Ebenen. Die Hauptaufgaben des Komplementsystems umfassen die direkte Zerstörung von Zellen und Erregern, die Opsonierung von Fremdantigenen, so dass diese von Phagozyten beseitigt werden können, und die Aktivierung von Effektorzellen der Immunabwehr. Im klinischen Alltag kommen vor allem Entzündungserkrankungen in Folge eines überaktivierten Komplementsystems vor. Diese ist beispielsweise beteiligt an der Entwicklung eines ARDS, SIRS und Sepsis, ferner bei verschiedenen Formen der Glomerulonephritis, Transplantatabstoßung, Rheumatoider Arthritis und anderen Autoimmunerkrankungen. Komplementdefekte finden sich als primäre Immundefekte relativ selten (4 - 5 % der primären Immundefekte), treten jedoch vergleichsweise häufig beim SLE auf.
Das Komplementsystem kann auf verschiedenen Wegen aktiviert werden. Der klassische Weg der Komplementaktivierung wird durch Antigen-Antikörper-Komplexe ausgelöst, welche die Komplementfaktoren C1q, C4 und C2 binden. Beim Lektin-Weg erfolgt eine Bindung des im Plasma vorkommenden Mannose-bindenden Lektins (MBP) an mannosehaltige Kohlenhydrate auf der Oberfläche von Mikroorganismen, wodurch die Komplementkaskade über C4 und C2 initiiert wird. MBP-assoziierte Serumproteasen sind direkt in der Lage, C3 zu spalten und die Kaskade zu aktivieren. Im Rahmen eines alternativen Wegs können bestimmte Oberflächenstrukturen, wie Lipopolysaccharide, von Mikroorganismen direkt Komplementkomponenten, wie Faktoren B, D und P, aktivieren.
Die verschiedenen Wege münden in der Aktivierung von C3, einem Glykoprotein, das in der Leber synthetisiert wird und in C3a und C3b gespalten wird. C3b wirkt dann als C5-Konvertase und initiiert die Bildung des terminalen Membranangriffskomplexes (MAC). Die bei der alternativen Aktivierung gebildete C3-Konvertase (C3bBbP) enthält C3b, welches zu Beginn dieser Aktivierung durch kontrollierte, permanente C3-Spaltung entsteht und seinerseits dann durch Spaltung von C3 die Aktivierung verstärkt. C3b ist weiterhin an der Opsonierung und Phagozytose von Bakterien sowie an der Bindung und Elimination von zirkulierenden Immunkomplexen beteiligt.
Die Aktivierung des Komplementsystems wird unter physiologischen Bedingungen reguliert durch Inhibitoren, worunter der C1-Esterase-Inhibitor (siehe dort) die wichtigste Stellung einnimmt.
Bewertung
C3-Komplement
Wegen seiner Schlüsselstellung innerhalb des Komplementsystems kann die Bestimmung der C3-Konzentration im Serum als Suchtest für eine übermäßige Komplementaktivierung eingesetzt werden.
Bei der Aktivierung wird C3 außer in C3b auch in die Produkte C3a, C3c und C3d umgewandelt. Das stabile Umwandlungsprodukt C3c wird hierbei als Indikator für den C3-Umsatz gemessen. Sinnvoll ist die parallele Bestimmung von C3c und C4.
Erniedrigtes C3c im Serum bei
- angeborenem Mangel (vermehrt bakterielle Infektionen, insbesondere mit Meningokokken und Gonokokken; Glomerulonephritis)
- erworbenem Mangel, Immunkomplex-bedingt: SLE, insbesondere mit renaler Manifestation, postinfektiöse Glomerulonephritis (Streptokokken u. a.), idiopathische membranoproliferative Glomerulonephritis (AK gegen C3-Konvertase), idiopathische Vaskulitis, Kryoglobulinämie, M. Basedow, Thyreoiditis
- erworbenem Mangel, nicht Immunkomplex-bedingt: bei Mangelernährung, schweren Hepatopathien (verminderte C3-Synthese), nephrotischem Syndrom, Verbrennungen, Malaria, akuter Pankreatitis.
Erhöhtes C3c im Serum bei
- akuten Infektionen (Akute-Phase-Reaktion)
- Mukoviszidose
Inkonsistente C3c-Werte (erniedrigt oder erhöht) finden sich bei Multipler Sklerose.
C4-Komplement
C4 wird im Serum zur Diagnostik und Verlaufsbeurteilung der verstärkten klassischen Komplementaktivierung bestimmt, wie sie vor allem im Rahmen von Immunkomplex-Erkrankungen auftritt.
Erniedrigtes C4 im Serum findet sich bei genetischem Mangel (Null-Allel-Gene) und als Folge vermehrter klassischer Komplementaktivierung. Diese kann auftreten bei aktivem SLE, Immunkomplexkrankheit, chronisch-aktiver Hepatitis, Malaria, Rheumatoider Arthritis mit Vaskulitis (bei RA ohne Vaskulitis hingegen in 20 - 60 % erhöhtes C4 aufgrund einer Akute-Phase-Reaktion; DD zum SLE möglich); Mangel an C1-Esterase-Inhibitor beim hereditären angioneurotischen Ödem.
Autoimmunerkrankungen wie SLE, autoimmune Hepatitis und Vaskulitis kommen auch gehäuft bei genetischen Mangelzuständen der Faktoren C4, C1 oder C2 vor (eine fehlende klassische Aktivierung beeinträchtigt die Ausscheidung zirkulierender Immunkomplexe).
CH50 (Gesamthämolytische Aktivität)
Die gesamthämolytische Aktivität wird im CH50-Test bestimmt, um die klassische Aktivierungsfolge der Komplement-Kaskade in ihrer Gesamtfunktion zu überprüfen. Am Ende dieser Kaskade entsteht der MAC, welcher der Abtötung von Mikroorganismen dient. Auch zur Beseitigung zirkulierender Immunkomplexe sind Komplementkomponenten der klassischen Aktivierungsfolge (C1, C4, C2, C3) notwendig. Eine verminderte gesamthämolytische Aktivität ist deshalb ein wichtiger Indikator für die Diagnostik und die Aktivitätsbeurteilung von Immunkomplex-vermittelten Erkrankungen.
Erniedrigte gesamthämolytische Aktivität im CH50-Test bei
- angeborenem Mangel an C1-Inhibitor, C2, C4, C5, C8 etc.
- erworbenem Mangel, Immunkomplex-bedingt: SLE, insbesondere mit renaler Manifestation, postinfektiöse Glomerulonephritis (Streptokokken u. a.), idiopathische Vaskulitis, Kryoglobulinämie, Multiples Myelom, M. Basedow, Thyreoiditis
- erworbenem Mangel, nicht Immunkomplex-bedingt: bei Mangelernährung, schweren Hepatopathien (verminderte C3-Synthese), nephrotischem Syndrom, Verbrennungen, Malaria, akuter Pankreatitis.
Erhöhte gesamthämolytische Aktivität im CH50-Test bei
- akuten Infektionen (Akute-Phase-Reaktion, begleitend CRP bestimmen!)
Vergleichende Bewertung von C3, C4 und CH50
Sowohl die klassische als auch die alternative Komplementaktivierung führen zu einem C3-Verbrauch. Bei ausgeprägter klassischer Aktivierung sind C4, C3c und der CH50-Test gemeinsam erniedrigt.
Eine verminderte C3c-Konzentration bei normalem C4 spricht für eine vermehrte alternative Aktivierung. Bei einer schwachen klassischen Aktivierung ist C4 jedoch eher erniedrigt als C3c.
C1q-Komplement
Erniedrigtes C1q findet sich bei hereditärem C1q-Defekt (assoziiert mit SLE-ähnlichen Erkrankungen mit Nieren- und Hautbeteiligung; häufig kombiniert mit Agammaglobulinämie), verstärkter klassischer Komplement-Aktivierung im Rahmen von Immunkomplex-Erkrankungen und hypokomplementämischer urtikarieller Vaskulitis (hier stark erniedrigte Werte). |